Von der Mühle zur Bundesakademie
Ein Blick in die Technik- und Kulturgeschichte Wolfenbüttels
Wolfenbüttel war über vier Jahrhunderte Residenz der Herzöge zu Braunschweig und Lüneburg – und auch ein künstlerisch-kulturelles Zentrum. Prägend ist natürlich das Schloss, in dem viele Werkstatträume der Bundesakademie untergebracht sind. Neben dem Schloss wird das Stadtbild von Wolfenbüttel auch durch die Schünemannsche Mühle geprägt. Über die Jahre hatte das Gebäude verschiedene Funktionen und hat mehr als einmal seinen Besitzer gewechselt.
Doch warum hatte Wolfenbüttel überhaupt eine Mühle?
Früher wurde die Stadt von zahlreichen Kanälen durchzogen, die 1585 von dem Niederländer Hans Vredeman de Vries als Entwässerungssystem angelegt wurden. Heute sind Überbleibsel dieses Systems nur noch in „Klein Venedig“ zu sehen. Am Ufer eines dieser Gewässer – dort, wo heute die Schünemannsche Mühle steht – befand sich bereits 1630 ein Gebäude mit dem Namen „Neuwe Muhle“.
Doch die Geschichte der Schünemannschen Mühle beginnt nicht mit dieser „Neuen Mühle“, sondern mit einer ihr gegenüberliegenden Sägemühle. Während der französischen Besatzung Wolfenbüttels im Jahr 1806 wurde diese umgebaut, um statt Holz aus Samen Fett und Öl herzustellen. Da jedoch niemand die Nutzungsrechte für die Mühle erhielt, blieb sie zwanzig Jahre lang ungenutzt. Nachdem die Mühle schließlich in Betrieb genommen worden war, wechselte sie mehrfach den Eigentümer, bis sie in den Besitz von Caroline Müller gelangte. Sie baute die Mühle 1851 zu einer Walk- und Lohmühle um. In Walkmühlen werden Tuch und Filz für robustere Kleidung gestampft. Lohmühlen produzieren Gerbsäure, die für die Verarbeitung von Leder benötigt wird. Zudem übernahm Frau Müller den Besitz der „Neuen Mühle“.
Die Brüder Schünemann
Caroline Müller verkaufte das Mühlenareal, wodurch die Nutzungsrechte in den folgenden Jahren mehrfach den Besitzer wechselten. 1879 kam es schließlich zur Versteigerung der Gebäude. Die Stadt Wolfenbüttel zeigte Interesse am Kauf, wurde jedoch von den wohlhabenden Kaufleuten Gustav und Oscar Schünemann überboten, die die Mühlen erwarben. Die Brüder bauten sie um und errichteten das Gebäude, das heute noch zu sehen ist. Als Architekt wird Otto Schweinhagen genannt, der der Wassermühle einen funktionalen und gleichzeitig repräsentativen Auftritt verlieh – ein Erscheinungsbild, das in seinen Grundzügen bis heute erhalten geblieben ist und den damaligen Reichtum der Besitzer widerspiegelt. Für die nächsten hundert Jahre arbeitete die neue „Schünemannsche Mühle“, bis sie 1979 stillgelegt wurde.
Die Schünemannsche Mühle heute
Nach knapp zehn Jahren Leerstand wurde die Mühle für den Lehrbetrieb umgebaut. Heute ist das Gebäude Teil der Bundesakademie für Kulturelle Bildung und bietet Raum für zahlreiche Seminare und Veranstaltungen. Der Charakter der ehemaligen Mühle blieb dabei erhalten – und das Rauschen des Mühlenbachs ist ein steter Begleiter des Kursgeschehens. Zusätzlich wird das gegenüber der Mühle gelegene frühere Wohnhaus der Gebrüder Schünemann als Speiseraum und für weitere Seminare in Kleingruppen genutzt.
Die Mühle ist zudem Teil der „Niedersächsischen Mühlenstraße“, einer kulturellen und touristischen Route durch das Bundesland.
Über die Jahrhunderte hinweg hat die Schünemannsche Mühle viele Veränderungen durchlaufen. Doch sie stand stets für die wirtschaftliche und kulturelle Entwicklung der Stadt Wolfenbüttel – und ist bis heute ein bedeutender Bestandteil ihrer regionalen Identität.
Vielen Dank an Christian Sorge, der im Rahmen eines Praktikums, die Geschichte der Mühle für uns aufgearbeitet hat. Der o.g. Text ist eine zusammengefasst Version einer längeren Arbeit, die er recherchiert und verfasst hat.