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Machtsensible Musikvermittlung

Musikvermittlung und die Kraft der Konfrontation und Selbstreflexion

Musikvermittlung und die Kraft der Konfrontation und Selbstreflexion

Von Shanti Suki Osman

Vom 31. Oktober bis 2. November 2025 bot die Bundesakademie für Kulturelle Bildung Wolfenbüttel den Rahmen für eine Tagung, die ein aktuelles kulturpolitisches Thema ins Zentrum rückte: »Kritisch, positioniert, engagiert. Perspektiven einer machtsensiblen Musikvermittlung«. Organisiert wurde die Veranstaltung von der Hochschule für Musik, Theater und Medien Hannover in Kooperation mit dem Forum Musikvermittlung an Hochschulen und Universitäten. Schon die Eröffnung markierte den Anspruch der Tagung deutlich: Vielstimmig – musikalisch wie sprachlich – führte sie die Teilnehmenden unmittelbar hinein in eine Auseinandersetzung mit der Frage, in welche Macht- und Dominanzverhältnisse musikvermittelnde Praxis eingebettet ist und wie diese sichtbar gemacht, verhandelt und verändert werden können.

Theoretische Fundamente: Musik zwischen Verbindung und Abgrenzung

Das multiperspektivische Eröffnungspanel (Moderation: Andrea Tober) zeigte exemplarisch, wie unterschiedlich die Bedürfnisse für eine macht- und diskriminierungskritische Musikvermittlung ausfallen können. Die anschließende Keynote von Stefanie Kiwi Menrath holte theoretische Tiefenschärfe in den Raum: Mit einem dynamischen Machtbegriff nach Michel Foucault, einem sozialkonstruktivistischen Kulturverständnis sowie der Erkenntnis, dass Musik individuelle und kollektive Identitäten transportiert (u. a. nach Bourdieu und Simon Frith), weitete sie den Blick auf die verbindende, aber auch trennende Rolle von Musik. Begriffe der machtkritischen Bildungsarbeit wie Ambiguität, Verlernen, Fehlerfreundlichkeit und Anerkennung boten den roten Faden für diese Perspektiven.

Über drei Tage hinweg wurde Musikvermittlung aus macht-, diskriminierungs- und rassismuskritischer Sicht als künstlerisch-pädagogische, wissenschaftliche und lehrende Praxis diskutiert. Künstlerische Interventionen sorgten nicht nur für atmosphärische Leichtigkeit, sondern auch für spielerische Irritationen, die den Blick auf eigene Positionierungen schärften. Schnell wurde deutlich, dass diese Tagung nicht nur akademische Inspiration verhandelte, sondern auch persönliche und kollektive Herausforderungen: Wer lehrt und lernt auf welche Weise? Welche Vorstellungen von Kunst bestimmen unser Handeln? Und welche Verantwortung tragen wir für die Transformation von Machtverhältnissen in kulturellen Räumen?

Praxisnah und transformativ: Form und Inhalt verbinden

Das Awareness-Konzept der Tagung band diese Fragen unmittelbar in die Struktur ein: Vereinbarte Gesprächskulturen und bewusst geschaffene Räume für machtkritische Begegnungen waren nicht Beiwerk, sondern gelebte Praxis einer Tagung, die Form und Inhalt konsequent zusammendachte. So ergänzten informelle Formate – offene Erfahrungsräume, ein World Café, parallele Thementische und ein Open Space – die klassischen Vortrags- und Diskussionsstrukturen. Zu den informellen Beiträgen gehörten etwa Erfahrungsberichte Schwarzer Frauen an Musikhochschulen (Universität Köln) oder ein Austausch zur Bedeutung des intersektionalen Feminismus.
Symbolhaft für diesen Ansatz stand das Panel zur machtsensiblen Lehre: eine pointierte Mischung aus Performance, fachlichem Input und gemeinsamer Diskussion. Die Critical Friends – Studierende der HMTMH, die die Tagung begleiteten – eröffneten mit einer künstlerischen Intervention. Es folgten Beiträge von Nihat Iman zur transkulturellen Musikvermittlung (ausgehend vom Inklusions-Trilemma nach Boger) und Urmila Goel, die Fehlerfreundlichkeit als Grundprinzip einer machtkritischen Lehrpraxis stark machte. Aus der Studie »Machtmissbrauch, Diskriminierung und sexualisierte Gewalt an der HMTM« präsentierten Lydia Grün und Sonja Stibi Strategien eines neuen Handlungskatalogs – Impulse, die in die anschließenden Thementische einflossen. Dort wurden unter anderem das Kunstlied als queer practice (Johannes Worms) und Strategien gegen Adultismus (Friederike Dunger) diskutiert.

Resümee und Ausblick

Wie im abschließenden Impuls des Tagungsbeobachtungsteams deutlich wurde, bot die Tagung nicht nur Raum für Austausch zwischen Forschung und Praxis, sondern auch für individuelle Reflexion – und für jene produktiven Irritationen, die Veränderungsprozesse erst ermöglichen. Wenn es gelingt, diese Vielfalt an Zugängen und Perspektiven in der geplanten Tagungspublikation einzufangen, könnte daraus ein wegweisendes Handbuch für machtkritische Musikvermittlung entstehen.