»Füreinander einstehen«
Wir sind mit Philipp Harpain über Solidarität in der Kulturarbeit ins Gespräch gekommen - mit Auswegen aus der Ohnmacht, politischer Sichtbarkeit und persönlichen Motiven.
Anlässlich der Fachwerkstatt »Im Geflecht: Solidarische Kulturarbeit denken & gestalten« haben wir mit Philipp Harpain gesprochen. In einem Workshop wird er mit den Gäst_innen zu Strategien im Umgang mit Kürzungen und knappen Haushalten arbeiten und sie am Beispiel der Stadt Berlin demonstrieren. Philipp Harpain ist Theaterpädagoge, Projektentwickler und Regisseur. Seit 2001 war er Theaterpädagoge am Grips-Theater, ab 2016 künstlerischer Leiter und seit 2017 Intendant des Hauses. Er hat das Bündnis »Berlin ist Kultur« initiiert und entwickelt gemeinsam mit Kolleg_innen kulturpolitische Strategien
ba•: Herr Harpain, was bedeutet Solidarität eigentlich?
Philipp Harpain: Für mich heißt Solidarität, füreinander einzustehen – ob es um die eigenen Belange geht oder darum, jemand anderen zu unterstützen, weil man an ein größeres Ziel glaubt. Besonders eindrücklich habe ich das im Bereich der Kinder- und Menschenrechte erlebt, etwa bei »Jugendliche ohne Grenzen«, die ich seit vielen Jahren begleite. Dort ging es immer darum, Abschiebungen zu verhindern und Missstände öffentlich zu machen. Öffentlichkeit war dabei ein entscheidender Hebel: Wenn Fälle transparent wurden, war es sehr viel schwerer, Kinder- und Menschenrechtsverletzungen zu begehen.
Diese Form der Solidarität prägt auch das Kinder- und Jugendtheater. Im Berliner Arbeitskreis haben wir früh gelernt, uns gegenseitig zu stärken und gemeinsame kulturpolitische Forderungen zu entwickeln. Das hat dazu beigetragen, dass wir es sogar in die Koalitionsverträge der letzten Regierungen geschafft haben – ein echtes Solidaritätsprojekt. Und als die massiven Kulturkürzungen drohten, war auch hier schnell klar: Wir müssen zusammenstehen.
Aus genau diesem Gedanken heraus entstand auch die Initiative Kultur in Berlin – mit Aktionstagen, Demonstrationen, Diskussionsformaten und einer breiten Beteiligung aus der gesamten Berliner Kulturlandschaft: Theater, Opernhäuser, Museen, Gedenkstätten, Kunsteinrichtungen, Musikschulen und die Clubszene. Besonders bewegend fand ich, dass auch die Zivilgesellschaft mitgezogen hat – etwa die GEW Berlin, die sich deutlich gegen Kürzungen bei Kinder- und Jugendtheatern positionierte, oder der Paritätische Wohlfahrtsverband Berlin, mit dem wir gemeinsame Aktionen organisiert haben. Und nicht zuletzt die Clubszene: Im Berghain wurde sogar Geld für unsere Aktionen gesammelt.
Solidarität zeigt sich immer dort, wo Bereiche sich gegenseitig stützen: Theater und Schulen, Kunst und Gesellschaft, Profis und Publikum.
ba•: Wann kam der Moment, in dem Sie sich kulturpolitisch stärker engagieren mussten?
Philipp Harpain: Über viele Jahre war die Kulturpolitik in Berlin stabil: Unter dem Kultursenator Klaus Lederer und der rot-rot-grünen Koalition wurde die Kulturlandschaft hervorragend ausgebaut und sicher durch die Coronakrise geführt. Umso härter traf uns die Kehrtwende unter der neuen rot-schwarzen Regierung: Erst wurde der größte Kulturhaushalt der Berliner Geschichte verabschiedet – kurz darauf kamen plötzlich geplante Kürzungen in Höhe von 135 Millionen Euro für den Haushalt 2025.
In so einer Situation bleibt keine Wahl: Man muss sich politisch einbringen. Vorher ging es um Aufbau, Qualität, nachhaltige Strukturen; plötzlich ging es ums Überleben.
Und dahinter steckt ein größeres Muster: In Zeiten vermeintlich knapper Kassen wird reflexhaft im Sozialen, in Bildung, im Umweltschutz und eben bei Kultur gekürzt – genau dort, wo demokratische Stabilität entsteht. Gleichzeitig versuchen rechte Kräfte wie die AfD, Kultur politisch umzudeuten und kritische, diverse Kulturarbeit zurückzudrängen. Kürzungen spielen solchen Entwicklungen direkt in die Hände.
Gerade deshalb braucht es ein klares, solidarisches, kulturpolitisches Engagement.
ba•: Ihr Workshop setzt bei der Praxis an: Was hat funktioniert, was nicht?
Philipp Harpain: Ich berichte vor allem von den Berliner Erfahrungen. Die Initiative Berlin ist Kultur war in den Medien extrem präsent; plötzlich suchte die Politik wieder das Gespräch mit uns, statt uns vor vollendete Tatsachen zu stellen.
Die ursprünglich geplanten 160 Millionen Euro Kürzungen wurden schließlich auf rund 110 Millionen für 2026/27 reduziert. Das ist immer noch viel zu viel – aber es zeigt, dass kollektiver Druck wirkt.
Die Kürzung insgesamt rückgängig zu machen, ist allerdings nicht geglückt. Insofern müssen wir uns eingestehen, dass unser größtes Ziel nicht erreicht wurde. Und das trifft besonders die kleineren Einrichtungen hart, denn dort wirken sich selbst vermeintlich kleine Kürzungen sofort existenziell aus. In den größeren Häusern bedeutet es vor allem: weniger Produktionen – und insgesamt weniger Räume für die bildende Kunst und die Literatur. Das heißt aber auch, dass künftig weniger Menschen beschäftigt werden können und dass es weniger Angebote für das Publikum geben wird.
Wirklich erfolgreich waren hingegen alle Aktionen, die sichtbar und breit aufgestellt waren: gemeinsame Forderungen, regelmäßige Gespräche mit Politik, Demonstrationen und große Bündnisse quer durch die Kulturlandschaft. Die Energie entstand aus der kollektiven Erfahrung: Wir bewegen etwas – also machen wir weiter.
ba•: Was hilft Kulturschaffenden, wenn sie sich machtlos fühlen? Eine erste kleine Handlung?
Philipp Harpain: Der wichtigste Schritt ist: nicht alleine bleiben. Sofort Kontakt suchen: Wer war schon in einer ähnlichen Lage? Welche Wege haben andere gefunden? Wo gibt es Stellschrauben?
Dann: ganz konkret Politiker*innen ansprechen und klarmachen, wie existenzbedrohend die Kürzungen sind – und vor allem, wen sie treffen. Denn betroffen ist nicht nur die Kunst, sondern das Publikum, das diese Angebote verliert.
Drittens: das eigene Publikum informieren. Dort entsteht oft große Solidarität – Unterschriften, Briefe, öffentlicher Druck. Ebenso wichtig: Unterstützung aus anderen Sparten und gesellschaftlichen Bereichen suchen. Viele Kürzungen sind flächendeckend – also muss die Antwort ebenfalls vernetzt sein.
ba•:Was braucht es, um aus Einzelinitiativen eine gemeinsame Kraft zu entwickeln?
Philipp Harpain: Vor allem langen Atem. Solidarität entsteht nicht im Sprint.
Neben Webseite und Newsletter haben wir bei Kultur in Berlin jeden Freitagmorgen ein offenes Zoom-Treffen angeboten – mal kamen 350 Vertreterinnen von Einrichtungen und Solokünstler*innen, mal 50, aber immer genug, um informiert und handlungsfähig zu bleiben. Diese Regelmäßigkeit hat unsere Schlagkraft enorm erhöht: Alle hatten denselben Wissensstand, Entscheidungen konnten schnell getroffen werden.
Und es braucht Visionen: Wohin soll Kulturpolitik sich langfristig entwickeln?
In Berlin ist die Initiative für ein Kulturfördergesetz ein wichtiger Schritt – der Versuch, Kulturförderung rechtlich verbindlich und gesellschaftlich abgesichert zu gestalten.
ba•: Kultur soll politisch sichtbarer werden – was heißt das konkret?
Philipp Harpain: Sichtbarkeit bedeutet nicht, das Publikum mit Politik zu überfrachten. Aber es bedeutet, klarzumachen, dass Kultur ein zentraler Bestandteil einer lebendigen Demokratie ist – und dass ihr Wegfall spürbare Lücken hinterlassen würde.
Initiativen wie Kulturleben Berlin zeigen, wie wichtig kulturelle Teilhabe ist: Menschen, die sonst keinen Zugang hätten, werden begleitet und erfahren kulturelle Räume als Orte von Inspiration und Begegnung.
Und die Pandemie hat uns vor Augen geführt, wie sehr Kultur fehlt – und wie groß die Freude war, als sie zurückkam.
ba•: Was schon morgen anders sein könnte?
Philipp Harpain: Dass Kulturinstitutionen und Publikum gemeinsam deutlich kommunizieren: Kultur ist notwendig. Sie stiftet Identität, Bildung und Zusammenhalt. Wird diese Selbstverständlichkeit wieder sichtbarer, wird es auch politisch schwerer, Kulturbudgets einfach wegzukürzen.
ba•: Was wünschen Sie sich für die Teilnehmenden des Workshops?
Philipp Harpain: Vor allem wünsche ich mir einen offenen Austausch: Wie ist die Lage bei euch vor Ort? Welche Erfahrungen habt ihr gemacht?
Und ich wünsche mir, dass die Teilnehmenden mit dem Gefühl hinausgehen:
Auch wenn es manchmal aussichtslos wirkt – Weitermachen lohnt sich.
Ja, die Situation ist hart, besonders für die freie Szene, wenn große Häuser weniger produzieren. Manche resignieren. Aber Kunst und Kultur sind unverzichtbar. Ich möchte Mut machen, sich nicht entmutigen zu lassen – und sich nicht »die Butter vom Brot nehmen« zu lassen. Kultur sollte selbstverständlich sein. Niemand sollte uns fragen: »Und was arbeiten Sie eigentlich?«
Die Fachwerkstatt wird in Kooperation mit dem Bundesverband Theaterpädagogik (BuT) und dem Landeszentrum Freies Theater Sachsen-Anhalt e. V. (LanZe) am 20. und 21. Februar in Magdeburg stattfinden. Neben dem Workshop mit Philipp Harpain werden diverese weitere Expert_innentalks, Workshops und Zwischenräume eröffnet, die zur Teilnahme einladen. Zum Programm und zur Anmeldung (Anmeldefrist: 05.01.2026) gelangen sie über folgenden Link.
Weiterführende Informationen von und zu Philipp Harpain finden Sie hier:
https://www.berlinistkultur.de/
https://www.kulturkonferenz.berlin/kulturfoerdergesetz
https://kulturleben-berlin.de/
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