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3 Fragen an Gert Ueding

Fragt man ihn nach der Haupttugend eines Redners, antwortet er ohne Zögern: »Glaubwürdigkeit; das wusste schon Aristoteles.« Mit der Redekunst kennt sich Gert Ueding aus, ließ er doch in Tübingen den Studiengang Rhetorik erblühen und hatte dort bis 2009 den bundesweit einzigen Lehrstuhl für dieses Fach inne. Mit seinem Namen fest verbunden ist das zehnbändige »Historische Wörterbuch der Rhetorik«. Ueding war aber nicht nur Germanist und Hochschullehrer, sondern hat sich auch als Literaturkritiker, Juror sowie als Preis- und Festredner einen Namen gemacht. Als junger Mann war Ueding Assistent des Philosophen Ernst Bloch, und diese Zeit hat ihn vom Enthusiasmus und der Arbeitshaltung geprägt. Und der Ruhestand? Der scheint bei ihm nur dafür gemacht, um zu veröffentlichen. »Ich möchte meine rhetorische Ernte in die Scheuer fahren«, sagt Ueding. 2016 kam Ueding erstmals zu uns an die Akademie und brachte den Teilnehmerinnen und Teilnehmern bei, bessere Reden zu schreiben. Am Rande der »Werkstatt Rhetorik« stellte ihm Olaf Kutzmutz drei Fragen.

 

Welche Rolle spielt Ernst Bloch für Sie?

Mein erstes Erweckungserlebnis: Bei Bloch kam es nicht auf den Koffer mit Wissen an, den ein Student mitbrachte, sondern darauf, Fragen zu stellen, neugierig zu bleiben. Nie im Leben vergessen werde ich folgende kleine Szene aus dieser Zeit. Ende der sechziger Jahre studierte ich in Tübingen bei Bloch und suchte händeringend nach einer Bude. Carola Bloch, die Frau Ernst Blochs, vermittelte mir eine kleine Wohnung im Souterrain des Hauses, in dem das Ehepaar wohnte – welch ein Glücksfall. Eines späten Abends, gewiss nach Mitternacht, saß ich dort an einer Arbeit über Schillers »Wallenstein«. Auf einmal hörte ich mit halbem Ohr, wie über mir die Flurtür auf- und zuging. Ein Tapsen, ein Schlurfen treppab. Vertraute Schritte: Bloch. Aber was machte er im Treppenhaus? Wollte er in den Keller? Mitten in der Nacht? Die Schritte steuerten auf meine Tür zu, dann ein zaghaftes Klopfen. Ich sprang auf, öffnete. »Darf ich einen Augenblick hereinkommen?«, fragte Bloch. Ich war völlig durch den Wind, bot Bloch den einzigen Sessel im Zimmer an und setzte mich auf die Kante meines Bettes. Und dann erfuhr ich, warum Bloch zu mir gekommen war. Ob ich wohl Tabak für ihn hätte … Dem passionierten Kettenpfeifenraucher war an diesem Tag der Stoff ausgegangen, und er hatte mitbekommen, dass ich auch Pfeifenraucher war. So wurde an diesem Abend Blochs Hoffnung auf Pfeifentabak nicht enttäuscht. Seitdem besuchte mich Bloch regelmäßig nach der Arbeit. Niemals danach habe ich jemanden getroffen, der so erzählen konnte wie er.

 

Sie waren 1983 Bachmann-Preis-Juror bei der blutvollen Lesung von Rainald Goetz – Ihr Kommentar?

Der Rasierklingenschnitt in die Stirn war ein Spektakel außerhalb der Literatur und darüber hinaus völlig rücksichtslos. Goetz nahm in Kauf, dass die folgenden Vorleser beim Wettbewerb unter dieser Aktion litten. Ich erinnere mich an die schockierte Zsuzsanna Gahse, die am notdürftig vom Blut gereinigten Tisch viel schlechter gelesen hatte, als sie es eigentlich konnte.

 

Welchen Traum möchten Sie unbedingt noch verwirklichen?

Ich träume davon, dass die Herrschaft der modernen Medien zu Ende geht.

 

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