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Nachgefragt bei Mustafa Akça

Draußen spielt die Musik!

Wie ist der Stand der Dinge? Die Dinge stehen schlecht und still – wie überall. Wir skypen mit unseren Teams, wir zoomen und kommen nur schleppend voran. Und womit eigentlich? Im Augenblick fehlt uns der Kern unserer Arbeit – die Vorstellungen und das Publikum. Das Publikum zoomt, skypt und streamt und sitzt zu Hause – wie wir, wie überall.
Dabei ist der urbane Lebensraum noch immer und zuerst ein analoger, kein digitaler. Dass mein Nachbar höchstpersönlich, körperlich anwesend und amtlich gemeldet, Tür an Tür neben mir wohnt, schläft, kocht, sich die Zähne putzt und Skype-Meetings abhält, macht ihn zu meinem Nachbarn. Da wir es uns mit unserem interkulturellem Projekt Selam Opera! an der Komischen Oper Berlin zur Aufgabe gemacht haben, Menschen unserer Stadt zur Kunst und durch die Kunst zueinander zu führen, fragen wir uns, was wir angesichts des social distancings, noch bewirken können.
Es ist wunderbar, wenn die Digitalisierung nun einen Schub bekommt. Wenn wir plötzlich wissen, wie man im Zoom-Meeting den Hintergrund wechselt und was man mit Trello alles anstellen kann. Es ist super, wenn Institutionen und Privatpersonen Lern-, Vermittlungs- und Musikvideos ins Netz stellen; für die Schulkinder daheim und ihre (manchmal) überforderten Eltern im Homeoffice neben ihnen. Das ist toll, aber das ist letztlich nicht das, was Theater ausmacht. Und erst recht nicht das, was das Projekt Selam Opera! ausmacht, das ja Menschen in ihrem Kiez persönlich und direkt aufsucht.
Was können wir mit den Mitteln unseres hochgradig spezialisierten Kulturapparates dieser Fülle an digitalen Angeboten also hinzufügen? Haben wir überhaupt eine Chance mitzuhalten? Wäre Oper auf dem Bildschirm schöner als live in großen – oder kleinen – Sälen, hätte sie sich mit den ersten Opernfilmen vor knapp 100 Jahren abgeschafft. Aber Oper ist lebendiger denn je und deshalb möchten wir als Kunstform – neben kleineren Videoproduktionen als virtuelles Bonusmaterial –  vorwiegend analog bleiben. Und so möchten wir unter Berücksichtigung aller Hygiene- und Abstandsvorschriften mit unserem Komşu-Dolmuş  (übersetzt etwa „Voll mit Nachbar*innen“) kompakte Konzerte in Berliner Hinterhöfen geben. Statt nur zu streamen, wollen wir live bei Mini-Festivals für Nachbarschaften in direktem Kontakt mit dem Publikum bleiben, das unseren kleinen Aufführungen an Fenstern und auf Balkonen und, wenn möglich, in Hinterhofgärten folgt! Wir machen also auch in Corona-Zeiten das, was wir am besten können: Wir bringen Menschen zur Kunst und durch die Kunst zusammen – trotz der 1,5 Meter Mindestabstand, dafür aber ohne trennende Zimmerwände.
Dass wir damit ein Tropfen auf einem heißen Stein in der Corona-Wüste sind und nicht einmal einen Bruchteil der Berliner*innen erreichen werden, wissen wir selbst. Aber wir hoffen, dass wir all denjenigen, die ein Hinterhofkonzert erleben, einen künstlerischen Moment der Freude und des menschlichen Austausches bereiten. Und Freude bereitet es auch unseren Musiker*innen und Sänger*innen, wenn sie wieder den direkten Kontakt zum Publikum erleben können und dessen Begeisterung spüren. Es geht uns dieses Mal nicht nur um Teilhabe an Kunst und Kultur im Allgemeinen, sondern auch um ein kleines Stück Teilhabe an den Freiheiten, die wir vor der Krise hatten und die wir danach hoffentlich wieder haben werden. Denn das Leben spielt sich trotz Lockdown nicht nur hinter Bildschirmen ab, sondern nach wie vor auch draußen, vor den Fenstern und Türen, gemeinsam mit Nachbar*innen und Freund*innen, im Kiez, in Berlin und überall.

 

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